Können Geimpfte Long Covid bekommen? Was man darüber weiß

Es ist reine Mathematik. Je mehr Virus in der Welt ist, desto wahrscheinlicher ist es, ihm, bildlich gesprochen, über den Weg zu laufen. Und jeder Kontakt mit dem Virus birgt die Gefahr einer Infektion. Das betrifft auch Geimpfte. Denn kein Impfstoff schützt zu 100 Prozent. Sogenannte Durchbruchsinfektionen sind daher unvermeidlich, aber vergleichsweise harmlos. Denn die durch die Impfung gebildeten Antikörper wehren das Virus ab, schwächen Infektionen und verhindern meist schwere Verläufe.  

So weit, so gut. Aber neben dem Risiko akut schwer an Covid-19 zu erkranken, birgt die Infektion ein weiteres: Long Covid. Zwischen 10 und 30 Prozent der Erwachsenen, die sich mit dem Virus infizieren, entwickeln Spätfolgen wie ständige Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Gehirnnebel, so die Schätzungen aus Studien. Sind Geimpfte davor gefeit? 

Corona-Infektion trotz Impfung


Jana ist doppelt geimpft. Dann infiziert sie sich. Wie konnte das passieren?

Viele Fragen noch offen

In Deutschland wurden seit Beginn der Impfkampagne laut Robert Koch-Institut (RKI) mindestens 10.827 Fälle von Impfdurchbrüchen (Stand: 12.8.) dokumentiert. Zwei Prozent der Betroffenen, die jünger als 60 Jahre sind, und jeder vierte Über-60-Jährige mussten in der Folge im Krankenhaus behandelt werden, so das RKI. Ob und wenn ja wie viele daraufhin Long Covid entwickelten, ist aus dem Bericht nicht abzulesen. Die Datenlage ist dünn, nicht nur in Deutschland. Beim überwiegenden Teil der Daten, die bisher zu Long Covid gesammelt wurden, handelt es sich um Fälle bei Ungeimpften. Es gibt zwar Hinweise aus der Forschung, die darauf hindeuten, dass auch Menschen, die sich trotz vollständigem Impfschutz infizieren, Symptome entwickeln können, die wochen- und gar monatelang bleiben, aber wie oft das vorkommt und wie schwerwiegend die Symptome sind, ist ungeklärt.

Die Spätfolgen, die auch als "langer Schatten von Corona" bezeichnet werden, sind vielfältig, hartnäckig und schwer zu behandeln. Menschen, die schwer an Covid-19 erkrankten, scheinen deutlich häufiger von Langzeitfolgen betroffen zu sein, so das RKI. Erwischen kann es aber auch Menschen mit sehr milden und milden Krankheitsverläufen. Eine Studie eines Kölner Forscherteams fand heraus, dass etwa einer von zehn Menschen, die gar keine oder nur geringe Corona-Symptome hatten, auch Monate nach der akuten Erkrankung noch Symptome mit sich herumschleppten. Betroffen waren auch junge Menschen ohne Vorerkrankungen. 

Long Covid trotz Impfung

Einen ersten Anhaltspunkt zu Long Covid nach Impfdurchbrüchen liefert eine kleine Studie, die in Israel durchgeführt wurde. An der Untersuchung, die im "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde, nahmen knapp 1500 Beschäftigte des israelischen Gesundheitswesens teil. Alle waren zu diesem Zeitpunkt vollständig geimpft. Bei 39 kam es zu Impfdurchbrüchen, also etwa bei 2,6 Prozent. Ein Drittel der Betroffen hatte keine, der Rest milde Symptome, keiner musste in der Klinik behandelt werden. Aber 19 Prozent der Betroffenen berichtete auch nach sechs Wochen noch von Beschwerden wie anhaltendem Husten, Geruchsverlust, Müdigkeit, Schmerzen. Halten Symptome länger als vier Wochen nach der Infektion an, spricht man von Long Covid. 

Überinterpretiert werden dürfen die Zahlen aus Israel aber nicht. Denn zum einen hatte sie ein ganz anderes Untersuchungsziel, den Antikörperspiegel bei Infizierten, zum anderen handelt es sich um eine sehr kleine Fallzahl. Die Daten zu den Long-Covid-Fällen waren daher mehr Nebenprodukt. Zumal die Studie durchgeführt wurde, als die Delta-Variante noch nicht vorherrschend war. Eine Antwort darauf, wie groß das Risiko für Geimpfte ist, an Long Covid zu erkranken, geben die Zahlen also noch nicht. Es brauche nun weitere Studien, die diese Beobachtung genauer untersuchen, sagte Virologin Sandra Ciesek  im NDR-Podcast "Coronavirus-Update".

Je mehr Menschen sich in der Bevölkerung infizieren, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Geimpfte auf Infizierte treffen und Impfdurchbrüche zunähmen, so Ciesek. "Das wird die nächsten Jahre wohl mehrmals passieren", sagte sie. Das Ziel sei es, dass in einem solchen Fall das Immunsystem anspringe und der Kontakt mit dem Virus nur zu einer leichten und kurzen Infektion führe. Die Rechnung ist einfach: Je mehr Menschen genesen oder geimpft sind, desto weniger Angriffsfläche bietet sich dem Virus. Je weniger sich infizieren, desto geringer auch das Risiko an Spätfolgen zu erkranken. Oder, wie Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf Twitter kommentierte: "Auch Geimpfte müssen vorsichtig sein. Impfverweigerer gefährden uns alle, weil sie Inzidenz hochhalten."

Mehr lesen zu:

– Long Covid: Symptome, Risikofaktoren, Behandlungsmöglichkeiten – ein Stand der Dinge

– Doppelt geimpft – und trotzdem mit Corona angesteckt? Das steckt dahinter

– Welche Menschen trotz vollständiger Impfung schwer erkrankt sind

Quelle: New England Journal of Medicine, The Lancet, RKI (1), RKI (2)

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